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Gesundheit & Wellness

ADHS und ASS - Diagnosen im Verruf

"Alles was mit 'A' anfängt wir von uns erstmal belächelt" Dies ist eine Aussage, die mir unser Eingangsarzt im SPZ entgegenbrachte. Das sollte ich auch zu spüren bekommen. Aber ersteinmal alles von vorn ...

Der schwere Weg bis zur Diagnose

Ich gebe ehrlich zu, dass ich auch einmal dachte, dass ADHS überbewertet wird und dass das Verhalten des Kindes ganz bestimmt mit der Erziehung zu tun hat. Nun, ich sollte eines besseren belehrt werden ...

Dass mit meinem ersten Sohn etwas nicht stimmte, wurde mir erst bewusst, als mein zweiter immer größer wurde. Er entwickelte einen ganz anderen Charakter, überholte unseren Großen mit Sprechen und war ein Sonnenschein, der viele Freunde hatte. Mein Ältester hingegen war ein Eigenbrödler, im Kindergarten überfordert und rastete immerwieder aus. Zu Hause konnte ich damit umgehen, fand meine Methoden mit diesen Situationen klarzukommen. Im Kindergarten bekam ich jeden Tag Beschwerden, die ich irgendwann nicht mehr hören konnte und wollte.

Bei der Vorsorgeuntersuchung mit vier Jahren zeigte sich, dass er kein "normales" Verhalten hat. Er hörte der Ärztin nicht zu, war gedanklich abwesend und schaffte deshalb weder Hörtest noch andere Aufgaben. Ich bekam eine Überweisung zum HNO-Arzt und zum SPZ.

Die HNO-Ärztin stellte fest, dass mit seinem Gehör alles in Ordnung war, was ich mir schon fast dachte. Schließlich hatten wir schon einen genauen Test hinter uns als er ein Baby war. Damals hatte er nicht auf das Glöckchen reagiert, als der Arzt es neben ihm schüttelte.

Für den SPZ-Termin musste ich ein dreiviertel Jahr warten. Dann wurde er dort von einem Arzt körperlich untersucht und ein Psychologe führte einen Intelligenztest durch. Das Ergebnis war, dass er trotz sprachlicher Probleme einen IQ von 115 hatte. Der Psychologe schloss ADHS aus, weil er sich so gut auf den Test konzentrieren konnte, der ihm im übrigen Spaß gemacht hatte. Statt dessen die Diagnose Auditive Wahrnehmungs- und Verhaltensstörung (AWVS), ein mir bis dahin völlig fremder Begriff. Den dazugehörigen Test könnte er jedoch erst machen, wenn er sechs Jahre alt ist. Das hieß warten ...

Während dieser Wartezeit ging ich wöchentlich mit meinem Sohn zum Logopäden und zur Ergotherapie. Beides brachte irgendwie überhaupt nichts. Weder das Sprechen, noch seine Konzentration verbesserten sich. Im Kindergarten hagelte es weiter Kritik. Es wurde mir vorgeschlagen, ihn in einen Förderkindergarten zu geben.

Ich war sehr verzweifelt und weinte viel. Was war bloß mit ihm los? Wie sollte es weitergehen? Ich sprach mit der Ärztin vom Gesundheitsamt bei der Schuluntersuchung über den Vorschlag des Kindergartens. Sie riet mir davon ab, weil er einfach zu intelligent war. In solch einem Kindergarten würder er nur untergehen.

Ich glaube dieses Jahr des Wartens war für mich das Schlimmste. Es ging einfach nicht voran. Ich wendete mich immerwieder hilferufend an das SPZ, doch sie hielten mich nur hin. Eines Tages hatte ich einen Termin mit meinem Jüngsten bei unserer Kinderärztin. Sie fragte mich bei der Gelegenheit, wie es mit unserm Großen läuft. Da liefen mir die Tränen. Ich erzählte ihr, dass das SPZ mich hinhält, ich keine Hilfe und gleichzeitig Druck vom Kindergarten bekomme. Es war eine große Erleichterung einmal alles herauslassen zu können. Die Ärztin erzählte mir vom Integrativem Zentrum zur Förderung hyperkinetischer Kinder (IZH) und von einer Sprachheilschule. Das gab mir neue Hoffnung, es ging wieder weiter.

Mit dem IZH machte ich mir einen Termin aus. Die Frau war sehr nett und sagte mir, dass eine ADHS- oder ADS-Diagnose vorliegen muss, damit das Jugendamt die Hilfe bezahlt. Sie empfahl mir auch einen Psychologen, mit dem sie wohl gute Erfahrungen hatte.

Ich fuhr mit meinem Sohn zu diesem Psychologen und er sagte, dass er eindeutig ADHS hätte. Außerdem sollte ich mir Gedanken über das Thema Medikamente machen. Das wollte ich nicht. Mein ganzes Innerstes wehrte sich dagegen. Später sagte mir der Psychologe, dass das nur vorübergehend wäre, damit die Therapie anlaufen könnte und die Medis spätestens nach zwei Jahren wieder abgesetzt würden.

Ich rief auch bei der Sprachheilschule an. Mein Sohn musste einen Sprachtest machen. Das Ergebnis: Er war nicht ganz so schlimm dran, dass es für die Sprachheilschule reichte. Doch eine Förderung in der Schule wäre möglich und sinnvoll.

Der Test auf das AWVS stand auch an. Er fiel eindeutig negativ aus; an seinen Ohren konnte es also definitiv nicht liegen.

... die Zeit in der Schule

Inzwischen wurde mein Sohn eingeschult. Die Problem fingen bereits am ersten Tag an. Im Hausaufgabenheft waren ständig rote Texte, Beschwerden über sein Verhalten. Was sollte ich machen? Die Schulleiterin wollte vom ADHS nichts hören. Sie meinte, dass ich doch zwei weitere Kinder hätte und es schaffen müsste, diese richtig zu erziehen. Solche Sprüche waren keine Seltenheit und taten sehr weh. Ich wusste nicht, was richtig und was falsch war.

Das Jugendamt meldete sich inzwischen und sagte mir, dass sie die Diagnose dieses Psychologen nicht anerkennen. Ich solle mich an das SPZ oder an die KJP wenden. SPZ? Was für ein Witz, also fuhr ich zur KJP.  Die Psychologin hörte sich alles an und sagte mir, dass für die Diagnose ein Aufenthalt von mindestens vier Wochen notwendig sei. Wieder eine Entscheidung, die ich nicht treffen wollte. Woher soll ich wissen, was richtig ist? Letztendlich stimmte ich dem doch zu, in der Hoffnung, dass alles gut wird.

Die Zeit war sehr schwer. Mein Großer wollte nach Hause, ich vermisste ihn und unser zweiter Sohn litt unter der Trennung. Im Kindergarten sagten sie mir, dass er sich sehr zurückgezogen hatte. Nach vier Wochen wollte ich Ergebnisse. Die Psychologin sagte mir, dss es einen Verdacht auf das Asperger-Syndrom gäbe, er jedoch für eine genaue Diagnose weitere sechs Wochen da bleiben sollte. Ich lehnte ab, das war mir einfach zu viel.

Die Psychologin akzeptierte das und versprach mir, mich trotzdem zu unterstützen. Sie riet mir zur Autismusambulanz. Und sie machte es möglich, dass das Jugendamt trotz fehlender Diagnose die Therapie bezahlte.

Mein Sohn machte von nun an große Fortschritte. Ich war überglücklich ... nun war alles endlich gut. Doch nach einem Jahr zog das Jugendamt einen Schlussstrich. Sie brauchten eine Diagnose, um weiter zu bezahlen.

Ich wendete mich wieder an das SPZ. Es wurden viele Tests gemacht und ich musste viele Fragen beantworten. Die Diagnose war widersprüchlich - sinngemäß: Er hätte zwar autistisches Verhalten, doch wäre nicht autistisch. Mir sagten sie, dass er einfach anders wär und ich das akzeptieren sollte. Das war ein Schlag ins Gesicht. Die Therapeutin sagte mir, dass die Diagnose für die Mülltonne wäre, weil sie sich widerspricht. Wenn er autistische Züge hat, ist er auch autistisch.

Die Therapeutin riet mir, nochmals zur KJP zu gehen und eine Aufnahme auf jeden Fall abzulehnen. Eine Diagnose ist auch ohne Aufenthalt möglich. Ein längeres Getrennt sein von der Familie schadet ihm sogar. Als ich dann bei der Psychologin saß, war ich überrascht, dass sie der ambulanten Diagnosestellung sofort zustimmte. Sie sah ein, dass die Therapie schon Fortschritte bringt und eine Weiterführung zwingend notwendig sei. So kamen wir nun endlich nach vielen Jahren zu  einer richtigen Diagnose.

... aktueller Stand

Die Therapie läuft weiter. Inzwischen bekommt mein Sohn auch ein Sozialtraining, eine Art Gruppentherapie. Naja, Therapie ist ja eigentlich der falsche Ausdruck, denn das Asperger-Syndrom ist unheilbar. Lediglich muss mein Sohn lernen, das Verhalten anderer Menschen zu verstehen und auch sich selbst so zu verhalten, dass andere damit klar kommen.

Das Sozialtraining wollten wir eigentlich schon lange haben, doch ich konnte ihn nicht regelmäßig in den 40 km entfernten Ort fahren. Das Jugendamt willigte erst zu, das Taxi zu bezahlen, als mein Sohn mehrfach Suizidgedanken aussprach.

In diesem Jahr steht der Schulwechsel an, wieder eine großer Herausforderung. Wir haben uns für ein Privatgymnasium entschieden, weil dieses daran interessiert ist, unseren Sohn besonders zu unterstützen. Das Gymnasium hat einen guten Ruf vorallem darin, jedes Kind individuell zu betrachten.

Das Jugendamt nannte uns Voraussetzungen, die notwendig sind, damit sie das Schulgeld bezahlen. Wir erfüllten alle, doch das Jugendamt revidierte seine Aussage. Nun stehe ich da ... Mein Sohn ist bereits angemeldet und wir haben nur sehr wenig Geld. Doch noch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, schließlich habe ich auch in der Vergangenheit schon so viel erreicht.

Warum ich das hier erzähle

Ich erzähle unsere Geschichte aus zwei Gründen:

  1. Für alle, die selbst um eine Diagnose kämpfen müssen oder mussten. Die immerwieder hören müssen, dass sie ihr Kind falsch erziehen und ständig Schuldzuweisungen bekommen. Ich möchte zeigen, dass es oft ein schwerer Weg ist. Doch nur wenn ihr durchhaltet, kämpft, nicht aufgebt, werdet Ihr Euren Kindern helfen können. Gerade im Bereich ADHS und ASS werden viele Fehldiagnosen gestellt. Das liegt daran, dass die Symptome für "fehlerhafte" Erziehung und den beiden Syndromen sehr ähnlich sind.
  2. Für alle, die sagen "ADHS hat fast jeder"; die den Kopf schütteln, wenn Eltern von dieser Diagnose erzählen; die nicht verstehen, wie man dem Kind Medikamente geben kann ... Ihr helft nicht mit Vorwürfen, sondern verletzt, ohne hinter die Fassade gesehen zu haben. Fragt nach und hört Euch die Geschichten an. Es ist so eine große Herausforderung, mit diesen Kindern zu leben, und gleichzeit nicht darüber reden zu können.