Annina
Annina
wil.fuchs

Über Mich

Annina

Das Bettzeug war noch genauso wie vorher auf dem Bett ausgebreitet, ein dicker Schlüsselbund neben der Kristallvase auf der Kommode und ein Kopf am Fenster schrie aus vollem Mund Richtung Himmel: Eulalie ist gestorben!


Ihre Kleidung auf dem Bett, die Parfümflasche halb geöffnet, wie immer, die letzte Umdrehung des Stöpsels fehlte; der feine Lavendelduft war spürbar. Ein Schatten der Angst beschlich mich. Ich hatte das Bedürfnis nach Sonne, nach einem weit geöffneten Fenster, ohne dieses leere Bett, ohne Zukunft. Der Tod hatte Tante Annina genau in dem Moment getroffen, als ihre Schwester Sophie ihr jahrelang erwartetes Herztransplant erhalten sollte. Warum konnte meine geliebte Tante nicht weiterhin auf dem Sofa sitzen, Socken stricken und Decken häkeln, wie immer. Der Tod lässt die Zeit langsamer laufen, fast stehenbleiben; man hält inne, schaut nach hinten und angstvoll nach vorne.


Tante Annina hatte eine bewunderswerte Gesundheit gehabt, ohne Husten, Erkältungen, Grippe wie andere Leute in ihrem Alter. Dazu ein exzellentes Herz, gesunde Beine, geschickte Hände, einen kreativen talentierten Kopf. Und plötzlich ist alles tot, alles unterbrochen, alles zu Ende.


In Kürze würde es Abend werden. Ein Abend ohne Tante Annina, ohne ihre Lächeln, ohne das Geräusch des Wassers, wenn sie ausgiebig duschte. Und nach der Nacht würde es Morgen werden, mit der Einsamkeit des Wasserkessels, einem kalten Herd, ungemalener Kaffee, der Stille der Möbel und ohne der erklärten Liebe von Tante Annina.
Das Leben würde weitergehen, die Möbel werden einstauben, die Sammelteller und Silberbestecke ihren Zweck verlieren. Seit ich sechs Jahre alt bin, bin ich bei ihr aufgewachsen. Sie war alles für mich, meine Tante, meine Mutter, meine Schwester, meine Freundin. Sie hat mich gelehrt, die Welt mit anderen Augen anzuschauen, sie hat mich Hoffnung und Perspektiven gelehrt. Jetzt mit 16 Jahren kann ich das gut gebrauchen.


Sie hat mich gelehrt, zu verzeihen, wie sie das auch täglich getan hat. Annina ist tot. Ich hasse es, sie weggehen zu sehen, mich einsam zurückzulassen. Vielleicht hätte sie mich besser mitnehmen sollen ...


Ich muss in die Leichenhalle gehen, dort wo sie aufgebahrt ist, einen letzten Abschied nehmen. Hier im Haus will ich keine Blumen, keine Beileidswünsche. Es ist ihr Körper, der geht. Aber Anninas Erinnerungen sind tief in mir enthalten.