Musik
Das Album "The Next Day" von David Bowie
In den letzten Jahren entwickelte sich eine neue Kultur der Verfügbarkeit von Medien. Alles gibt es online. Beim Stöbern in Plattenladen, Videothek und Buchladen war man früher noch davon abhängig, was der Händler vorrätig hielt. Inzwischen wird einem schwindelig in Downloadangeboten und Versandhäusern über die mit einem Klick erfüllbaren Wünsche. Vor noch relativ kurzer Zeit rieb ich mir da plötzlich ungläubig die Augen und fragte mich: Wo ist eigentlich David Bowie abgeblieben? Die Zeit seit seinen letzten Alben, die noch in relativ kurzem Abstand erschienen waren, war schnell vergangen. Nebenbei liebten alle Bowie. Der Look der Jugend hatte auch mehr mit seinen vergangenen Outfits zu tun, als je zuvor. Aber eigentlich wusste niemand, was er tat. Kurz nachdem ich mich gefragt hatte, was aus ihm geworden war, kam urplötzlich eine neue Single von ihm heraus, und mittlerweile ist auch das ganze Album da.
Ich weiß nicht, ob ich es jemandem als erstes Bowie-Album empfehlen würde, der jetzt vielleicht Sechzehn ist, also noch zur Grundschule ging bei Bowies letzten Alben. Andererseits wirklich abraten würde ich in dem Fall auch nicht. Man sucht bei einem so lange aktiven Künstler wohl automatisch nach Vergleichen in seiner Vergangenheit. Und es ist etwas komisch, dass mir da gerade Bowies Album „Low“ als Vergleich einfällt, denn „The Next Day“ ist eben nicht ganz so ungewöhnlich und neuartig wie „Low“. Aber „Low“ gibt es eben auch schon, und die Atmosphäre von „The Next Day“ ist durchaus vergleichbar. Früher hat Bowie gern die aktuellsten alternativen Musikrichtungen ausprobiert, aber doch immer seinen Stil des gebrochen-robotisch-Romantischen bewahrt. Er hätte ja jetzt mit Dubstep experimentieren können, aber es bleibt bei einer klaren Rockbandinstrumentierung, lediglich mit ein paar Jazz-Anleihen. Bowies Band klingt übrigens frisch und spielfreudig, die einzelnen Songs auch durchaus innovativ im Vergleich zur gesamten Rocklandschaft. Bowie selbst hatte aber das Meiste bereits schon mal erkundet, was er auf diesem Album darbietet. Es bleibt trotzdem ein erstklassiges Album, weil eigentlich niemand anders außer Bowie die gleichen Experimente gemacht hat. Die Stimmung des Albums ist teilweise sehr schwermütig, teilweise aber auch förmlich albern. Meinem langjährigen Verständnis von Bowie als einem Poeten des Absurden kommt das entgegen. Es ist schön, dass er wieder da ist, ganz lebendig, und dass er noch etwas auszudrücken hat. Für einen alten Fan klingt er hier wie ein alter Freund. Wer Bowie neu entdeckt, dem sei aber unbedingt geraten, quer durch Bowies bisheriges Schaffen hindurch mal hier und da hineinzuhören, am wenigsten aber vielleicht in Aufnahmen aus den Achtziger Jahren.