Ein unglückliches und problematisches Urteil des Kölner Landgerichtes
Droht ein Beschneidungsverbot in Deutschland?
Ein Urteil des Kölner Landgerichtes sorgte im Juni 2012 für Irritationen in jüdischen und muslimischen Gemeinden. Die Richter bewerteten die religiös motivierte Beschneidung bei einem vierjährigen Jungen als Körperverletzung, sprachen den Arzt aber frei, weil er davon ausgehen konnte, dass die Maßnahme auf Grund der Einwilligung durch die Eltern rechtmäßig war. Das Urteil wird vielfach als Verbot der Beschneidung interpretiert. Ist es das wirklich?
Die Rechtsauffassung des Gerichtes
Die Rechtsauffassung des Kölner Landgerichtes kommt in der Urteilsbegründung zum Tragen. Demnach ist gemäß der Meinung der Richter einer Strafkammer jede Art der Beschneidung eine Körperverletzung, welche auch nicht durch eine religiöse Forderung oder durch eine Einwilligung der Eltern zulässig wäre. Konkret ging es um den Fall eines vierjährigen muslimischen Jungen, bei dessen Beschneidung Komplikationen auftraten. Nicht beschäftigt hat sich das Kölner Landgericht mit den Vorteilen einer Beschneidung wie dem Schutz vor zahlreichen Krankheiten und nach unterschiedlichen Statistiken sogar der Reduktion des Aids-Risikos.
Die Bedeutung der Beschneidung im Judentum
Ein jüdischer Junge wird acht Tage nach seiner Geburt beschnitten, selbst wenn dieser Termin ein Schabbat ist. Das erste Buch Mose (Genesis) ist in Kapitel 17, Verse 1 bis 14 eindeutig hinsichtlich des Beschneidungstermines. Die Weisen des Talmud diskutieren über Gründe für die Verschiebung der Beschneidung und sehen als solche eine Erkrankung des zu beschneidenden Jungen an. Zudem konnte die Beschneidung unterbleiben, wenn zwei Brüder des Kindes bei einer solchen gestorben waren, was selten vorkam und angesichts der heutigen medizinischen Möglichkeiten nicht mehr besteht. Bei der Beschneidung soll nach Möglichkeit ein Minjan (zehn religionsmündige Jüdinnen und Juden, in der Orthodoxie nur Männer) anwesend sein; sie findet aber auch ohne einen solchen statt, wobei lediglich einige Gebete unterbleiben. Üblicherweise findet die jüdische Beschneidung in der Synagoge oder im Wohnhaus des Kindes statt, so dass sie mit einer großen Feier verbunden werden kann. Die Beschneidung im Krankenhaus gilt als Notlösung. Einige Rabbiner verbieten sogar die Durchführung der Beschneidung in einer Klinik, letztendlich müssen sie aber auch diese als durchgeführt anerkennen. Bei einem Übertritt zum Judentum wird hingegen die Beschneidung im Krankenhaus von den meisten Autoritäten empfohlen, da sie wesentlich komplizierter und schmerzhafter als eine Beschneidung im Babyalter ist. Von einer jüdischen Mutter geborene Jungen sind seit ihrer Geburt Juden, die auch von jüdischen Autoren gelegentlich verwendete Bezeichnung der Beschneidung als Moment des Jude-Werdens dient oftmals einem Vergleich mit der christlichen Taufe, der allerdings nicht sinnvoll ist. Wer nicht beschnitten war, durfte während der Tempelzeit nicht am Pessach-Opfer teilnehmen. Heute bestehen eigentlich keine Einschränkungen; die Auffassung, dass nicht beschnittene Juden nicht zum Minjan zählen und nicht zur Tora aufgerufen werden sollen, ist eine Minderheitenmeinung und wird selbst in der jüdischen Orthodoxie von vielen Rabbinern nicht geteilt. Nicht beschnittene jüdische junge Männer werden mit ihrer Bar Mitzwa (wenn sie nach dem jüdischen Kalender dreizehn Jahre alt geworden sind, die Abweichung gegenüber dem christlichen Kalender beläuft sich je nach Jahr auf null Tage bis knapp drei Wochen und ist in beide Richtungen möglich) dafür verantwortlich, selbst aktiv für ihre Beschneidung zu sorgen. Einige Gemeinden verweigern die Durchführung einer Bar-Mitzwa-Feier, wenn der Junge nicht beschnitten ist. Aber Bar Mitzwa wird er auch, wenn die Feier ausfällt. Dass der Bar-Mitzwa-Junge am ersten Schabbat, nachdem er dreizehn Jahre alt wurde (oder exakt an dem Tag) erstmals zur Tora aufgerufen wird, ist ein großes und wichtiges Fest. Wenn es entfällt, ist der Junge trotzdem Bar Mitzwa, nur fehlt ihm und der Gemeinde eine wichtige Erinnerung an das religiöse Erwachsen-Werden. Aus der Selbstverpflichtung ergibt sich, dass der jüdische Junge, sobald er dreizehn Jahre alt geworden ist, sich schnellstmöglich um die Beschneidung kümmern muss, sofern er nicht wie üblich als Baby beschnitten wurde. Acht Tage sind das ideale Alter für eine Beschneidung, zumal die Schmerznerven noch nicht ausgeprägt sind.
Ist das Urteil auf die jüdische Beschneidung übertragbar?
Abgesehen davon, dass Gesetzesauslegungen die niedergeschriebenen Gesetze nur dann ergänzen können, wenn Gesetzestexte nicht eindeutig sind, bewirkt ein einziges Urteil noch kein bundesweit anerkanntes Richterrecht. Zudem ist die jüdische Beschneidung ausdrücklich auf den achten Tag datiert, Ausnahmen bestehen ausschließlich bei gesundheitlichen Gründen, welchjene eine Verschiebung der Beschneidung rechtfertigen. Im konkreten Fall entschied das Gericht über die terminlich weniger genau festgelegte Beschneidung eines muslimischen Jungen. Das Urteil einer Kammer des Kölner Landgerichtes bedeutet nicht zwangsläufig, dass andere Kammern zum selben Ergebnis kommen. Es schadet jedoch der Rechtssicherheit, so dass der Gesetzgeber gefordert ist, ausdrücklich die religiöse Beschneidung bei Jungen zu erlauben, wie auch der Zentralrat der Juden fordert.
Ist jüdisches Leben in Deutschland weiterhin möglich?
Wenn die Beschneidung verboten wird, ist jüdisches Leben in Deutschland nicht mehr möglich, denn Kinder können im biblisch vorgeschriebenen Alter von acht Tagen noch keine Einwilligung in diese geben. Eventuell ließe sich die Einwilligung der Seele, von einer jüdischen Mutter geboren zu werden, als solche verstehen – diese Argumentation erscheint Kölner Richtern allerdings möglicherweise als jüdisch-esoterisch. Damit jüdisches (und auch muslimisches) Leben in Deutschland weiterhin möglich bleibt, sollte der Gesetzgeber die religiöse Beschneidung ausdrücklich genehmigen. Bis dahin lässt sich vielleicht bei jeder Beschneidung eine medizinische Notwendigkeit bestätigen. Das ist zwar im Alter von acht Tagen nur bedingt glaubwürdig, allerdings kommt es nicht auf die medizinische Glaubwürdigkeit an, sondern darauf, dass Gerichte die Glaubwürdigkeit einer Diagnose als gegeben ansehen – und dazu trägt die Statistik bei, wenn die medizinische Notwendigkeit einer Beschneidung regelmäßig bestätigt wird. In diesem Fall müssen natürlich Arzt und Mohel zusammenarbeiten, was in vielen Fällen schon deshalb einfach ist, da in Deutschland Mohel oftmals eine weitere Tätigkeit eines jüdischen Arztes ist.