Der Lügner. Eine fiktive, erlogene Geschichte
Eine Erzählung über einen lächerlichen Menschen
Als er erwachte, war es noch dunkel. Die Wände des Zimmers hatten die Farbe des Steines in seiner Brust. Er konnte im Licht der Straßenlaterne sehen, dass es draußen neblig war. Er dachte an das, was im Laufe des Tages zu erledigen war und seine Depression zerfiel zu einem Klumpen Blei, der sich in seinem Magen ablagerte. Alles erschien ihm, wie ein Teil des Traumes, den er heute nach geträumt hatte. Er war mit anderen bei einer Veranstaltung oder Feier. Ein Kollege, den er nur flüchtig kannte, wollte wissen, welche Position er hier innehabe, Er reagierte gereizt und machte sich über den Mann lustig, in dem er ihm eine Art Feststellung: "Sind Sie im KKB?" das Wort abschnitt.
Als er aufstand, fühlte er eine Art Schwindel, so dass er sich wieder einen Augenblick hinsetzen musste. "Das hat bestimmt mit dem schlechten Wein von gestern zu tun" dachte er angeekelt. Er kämpfte den aufsteigenden Brechreiz nieder.
Letzte Woche hatte es geschneit, soviel wie seit langem nicht mehr. Schnee bedeutet Tod, dachte er. In früheren Zeiten wurde er auch das Leichentuch der Armen genannt, weil sich der Schnee über die vielen unbestatteten Leichen legte und sie zudeckte...wie ein weisses Leichentuch. Er dachte in letzter Zeit viel über den Tod nach, warum eingentlich? Er war gesund, hatte einen sicheren Job, keine Familie, um die er sich Sorgen machen musste und benutzte auch selten ein Auto oder Flugzeug.
Das Zimmer lag jetzt im Zwielicht des kalten Morgens und liess die Gegenstände wie mit Staub überzogen erscheinen. Vom Bett aus konnte er die gegenüberliegenden Fenster erkennen, die wie Buchstaben wirkten, die keinen Sinn ergaben. Aus einem der Fenster lehnte sich eine alte Frau sehr weit heraus; wie ein grauer Vogel spähte sie die Straße herunter. Er erhob sich und stellte sich nackt ans Fenster. In diesem Moment sah die Alte herüber, erstarrte und schloss eilig das Fenster. Er hatte aber irgendwie das Gefühl, dass sie ihn gar nicht gesehen hatte. Er zog seine Sachen an und schaltete eine Lampe ein. Gelbliches Licht überzog den Raum mit kränklicher Wärme.
Auf das Frühstück verzichtend, betrat er den Flur. Das Summen der Nachspeicherheizung war ein schwaches Wispern aus den Kanälen der Versorgung, die uns umgeben. Das Licht der Küchenlampe erhellte spärlich den Tisch und liess den Rest in trägem Zwielicht. Er war sich seiner nicht sicher, wenn die peinliche Ordnung, die ihn umgab, Lücken aufwies. Einige leere Weinflaschen und andere Reste der vergangenen Tage bildeten ein Stilleben des immer gleichen Rituals. Seine Abende verliefen so regelmäßig wie die Jahreszeiten. Sie hatten sich in ihrem Ablauf auch seit Jahren nicht geändert. Er wollte auch keine Veränderung und hasste alles, was eine Störung dieser mechanischen Gewonheiten bewirkt hätte. Vor ein paar Wochen hatte ein Kollege mit seiner Freundin ihn besucht. Sie hatten bis zwei Uhr morgens mit Gespächen verbracht. Er hatte viel aus seiner Zeit als Maler erzählt, aber auch darüberhinaus sonst alles Mögliche, was er sich aus Lust am Improvisieren spontan erdacht hatte. Zum Beispiel von einer Fahrt mit einem Fischkutter, bei der er und seine damaligen Freunde beinahe ertrunken wären. In Wahrheit war er kurz vor Abfahrt aus Angst vor Seekrankheit wieder von Bord gegangen. Oder er fabulierte von den Besuchen bei berühmten Kollegen, in deren Ateliers opulente Feste stattgefunden hatten. Das waren allerdings nie seine eigenen Erlebnisse, sondern er hatte diese Begebenheiten von anderen gehört.
Die in seinem Kopf und in der Wohnung entstandene Unordnung belastet ihn am nächsten Tag. Als aber alles wiederhergestellt war, plagten ihn wegen seines Geschwafels auch keine Gewissensbisse. Nur manchmal flackerten solche Erinnerungen wie Gespenster der Scham in seinem Kopf auf, und er fühlte dann eine peinliche Unruhe.
Fortsetzung folgt
Wer den Anfang interessant findet und weiterlesen möchte... schreibt mit bitte!
Die ganze Erzählung geht über etwa fünf A4-Seiten und enthält auch eine erotische Komponente. Es ist übrigens mein Erstlingswerk. Und bitte meldet mir auch Rechtschreibfehler, falls ich welche übersehen habe.
Fortsetzung
Heute musste er der Hausverwaltung eine Bescheinigung seines Arbeitgebers zustellen. Da sich die Firma nur einige Straßen weiter befand, wollte er den Brief selbst vorbeibringen. Die Verwaltung befand sich in einem Neubau und er betrat den unangenehm engen Lift, der ihn an eine Abstellkammer erinnerte, nur dass sich keine Gegenstände in ihm befanden. Er drückte einen der abgenutzten Knöpfe und hoffte, dass nicht unterwegs noch jemand dazustieg. Glücklicherweise erreichte er das Stockwerk mit den Büros ohne Verzögerung und übergab seine Bescheinigung einer Angestellten. Als er den Knopf für das Erdgeschoss drückte, öffnete sich die Lifttür fast sofort und er stand einer Frau gegenüber, die ihn etwas verwundert ansah. Er bertrat den Lift und empfand sofort ein beklemmendes Gefühl. Die erzwungene Nähe zu der ihm unbekannten Frau, die nach einem süßlichen Parfüm roch und die Enge der Kabine wirkten wie eine Betäubung und er hielt unwillkürlich die Luft an. Er hatte keinen Knopf gedrückt und die Frau, die sich jetzt zu ihm umdrehte, sah ihn nur fragend an. Er konnte sich nicht dazu entschliessen, etwas zu sagen und starrte angestrengt auf einen der Ohrringe der Frau, als wenn dieser mit der Frage zu tun habe, die er nicht stellen konnte. Der Ohrring hatte die Form eines Auges und der Stein in der Fassung glitzerte grünlich. "Wohin wollen Sie denn?" fragte die junge Frau jetzt. "Äh, ins Ergeschoss..." stotterte er und sah zur Seite. "Die Situation erinnert an eine Szene aus einen schlechten Film" dachte er. Als der Fahrstuhl hielt, liess ihm die Frau ironisch den Vortritt und grinste anzüglich. "Ich bin die Hausmeisterin. Falls Sie mal ein Problem haben..." Sie vollendete den Satz nicht und drehte sich langsam in Richtung Hof. "Ich arbeite hier gar nicht, ich habe nur etwas abgegeben." stellte er überflüssigerweise richtig und gleichzeitig erschien ihm seine Aussage nicht korrekt, denn er wusste ja nicht, ob sie darüber möglicherweise nicht schon im Bilde sei. "Trotzdem," fügte sie verbindlich hinzu "ich gebe Ihnen meine Karte. Es könnte ja sein, dass Sie uns noch mal besuchen." Das erschien ihm schon etwas übertieben, aber er nahm den kleinen Gegenstand und steckte ihn in seine Jacke, ohne einen Blick darauf geworfen zu haben. "Wo komme ich zur nächsten Bushaltestelle?" fragte er jetzt, ohne die Absicht zu haben, den Bus zu benutzen, denn wohin sollte er den fahren, seine Wohnung lag ja nur ein paar hundert Meter entfernt. Die Frage schien sie zu überraschen oder sie verstand ihn nicht richtig, denn sie sah ihn an, als wenn er nach etwas gefragt hätte, was nicht ihrem Bildungsstand entsprach, etwa, wie weit es bis zum Nordpol sei. "Das...kann ich Ihnen...nicht sagen" antwortete sie langsam und wie verwirrt. "Entschuldigen Sie..." stammelte er. Er fühlte eine matte Verlegenheit und überlegte, wie er sich aus der verfahrenen Situation befreien könnte. "Ich werde mich erkundigen." sagte sie jetzt, machte aber keine Bewegung in Richtung der belebteren Gebäudeteile, wo sich möglicherweise ihr Büro befand. In diesem Moment hatte er eine Eingebung und sprach ganz anders als er es sonst gewohnt war, ruhig und wie selbstverständlich die Sätze: "Das müssen Sie nicht, ich kann auch mal zu Fuss gehen. Ich komme morgen wieder und hole mir den Entscheid auf meine Anfrage. Dann wende ich noch mal an Sie. Ich habe ja Ihre Karte." Als er das Gebäude verliess, begann es zu regnen und ihm fiel ein, dass er seinen Schirm vergessen hatte. Der Regen war so stark, dass er einen Laden betrat, um einge Dinge für seinen Haushalt zu kaufen. An der Kasse traf er auf einen Kollegen aus seiner Firma, der gerade mit zwei schweren Einkaufstaschen dem Ausgang zustrebte. "Ich habe nicht viel Zeit, meine Frau wartet und du weisst, wie unangenhm sie werden kann, wenn ich nicht pünktlich zum Mittagessen wieder zurück bin. Kommst du ein Stück mit?". "Nein, ich habe noch zu tun, Ich muss eine Bescheinigung für meine Hausverwaltuung fertigstellen. Grüß deine Frau von mir." Sie trennten sich und da der Regen aufgehört hatte, ging er in Richtung seiner Wohnung davon.