Spechtsbrunn existiert nachweislich seit 1414. Zum 600 jährigen Bestehen bewiesen Bewohner und zahlreiche Aussteller, dass es dort oben im Thüringer Schiefergebirge mehr als Wald, Berge und zänkische Nachbarn gibt. Vor allem feiern könn
Es war einmal … Prächtige Zeitreise durch 600 Jahre Spechtsbrunn (am Thüringer Rennsteig)
Ein Jahr lang liefen die Vorbereitungen für die Feier des 600jährigen Überlebens des Dorfes. Aussteller von fern und nah boten alles an historischen Ansichten, Spezialitäten und Unterhaltung, mehr, als das Dörflein tatsächlich selbst dereinst erlebt haben dürfte. Nur einer mochte so viel Prunk und Feiern nicht sehen. Genau zum Festumzug öffnete Petrus kräftig seine Schleusen. Die Mitwirkenden bewiesen ihm und allen Gästen, dass sie sich vom Regen die gute Feierlaune nicht verderben lassen.
Wie alles begann…
Ich langweile Sie natürlich nicht mit einer 600 Jahre Chronik von Spechtsbrunn.
Dazu gibt es online und offline genügend aussagekräftige Quellen. Aber ein paar Eindrücke von einer Einheimischen möchte ich Ihnen nicht vorenthalten:
Am Ortseingang steht ein gestalteter Specht auf einem gestalteten Brunnenrand. Doch von dieser Kombination rührt der Name „Spechtsbrunn“ nicht her. Als „Specke“ bezeichneten die Hiesigen ein unpassierbares Wegstück. Um trotz Matsch weiterzukommen, wurde ein Knüppeldamm errichtet und der Morast mit Reisigbündeln belegt. Einheimische und Fremde wanderten also richtigerweise von und nach „Specke-brunn“, woraus später linguistisch das jetzige „Spechtsbrunn“ entstand.
- Die historische Bevölkerung lebte ärmlich, verstand sich aber schon immer prächtig auf das Feiern. In der verschwiegenen Zeit als DDR-Grenzdorf wichen die Menschen auf privat veranstaltete Geselligkeit zurück. Doch nun, in der weltoffenen Gegenwart, beweisen viele Bewohner, Geschäftsleute und Vereine, dass der Überlebenswille und die Lust auf Fröhlichkeit nie im Dorf ausgestorben sind.
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Bis zum 31.12.2014 war Spechtsbrunn eine von mehreren Gemeindeteilen der Region und Gemeinde Oberland am Rennsteig. Seit dem 01.01.2014 sind die Dorfbewohner plötzlich Städter – und zwar als eingemeindete Bürger der Stadt Sonneberg, von welcher Spechtsbrunn nun ein weiterer Ortsteil ist.
Eine Traktorparade am Samstag
Die 600 Jahr Feier dauert eigentlich schon das ganze Jahr 2014 an.
Lange vor dem Juni-Event wurde das Festjahr mit einem Mittelalteressen im Gasthof & Pension »Am Rennsteig« zünftig eingeläutet. Höhepunkt dieses Samstags war eine Traktorparade. Alle, die ein solches Fahrzeug auf dem Hof hatten, ließen es sich nicht nehmen, ihre »treuen Gäule« mit Motor vorzuführen. Die einen trugen Birkenzweige und Blüten, andere Werkbänke und mittelalterlich gekleidete Schau-Handwerker. Auf wieder anderen unterrichtete eine Lehrerin die Schüler vor einer authentischen Schiefertafel, mitten auf dem Traktoranhänger.
Ich war selbst Ausstellerin beim Fest, konnte aber von meinem kleinen Marktstand aus das Treiben und Feiern vor und nach der Traktorparade prima beobachten. Unsere mittelalterlich belagerte „Marktstraße“ zwischen Dorfteich, Kirche und Gerätehaus glich einer echten Zeitreise. Bürger und Bettler, Recken und Fürsten, Holzweiber und Griffelmacher, Wahrsager und Mittelalterbands trieben „ihr Unwesen“. Selbst unsere Standbesucher kamen vielfach authentisch gewandet in den Trachten ihrer Region, als Edelmann und Marketenderin oder entsprechend ihres historischen Handwerks.
Bilder sagen mehr als tausend Worte
Der Youtube-Baustein ist leider defekt
Dennoch möchte ich euch das tolle Video zum Fest nicht vorenthalten. Also, viel Spaß dabei. Und: Seht euch das bitte MIT Ton an, es ist einfach nur schön!
Meine »Lieblinge«: Viesematente zur Marktunterhaltung
»Mit Schalmei, Flöten, Sackgepfeif, Trummeln und gar anderem derben Geräuschs ziehen sie durch die Lande […] «
© Zitat (Auszug): Viesematente (Startseite)
Nöh, da war nichts derbe an dieser Musik. Ganz im Gegenteil. Wenn ihr euch mittelalterliche Musik eher schlaff und düster vorgestellt habt, erlebt ihr spätestens hier etwas ganz Anderes. Wow, der Drummer hat mit seiner Riesentrommel das ganze Spechtsbrunn aus den Betten geholt. Der Mann mit der Mandoline saß die meiste Zeit da wie ein glücklicher Zaungast. Aber sobald Trommel und Bagpipe (naja, so ähnlich, schaut euch mal das Video an) leiser wurden, zupfte er die Saiten gar manierlich und mitreißend.
Ich mache ja selbst so ein bißchen Musik (eher gauklerisch und spontan), aber wie die Truppe beim Sonntagsumzug mitlief und klasse weiterspielte – trotz Mega-Regensturz -, das fand ich richtig professionell. Da wären mir gewiss die Töne in der Flöte stecken geblieben. Authentisch heißt für Profis eben auch, authentisch durchzuhalten. Im Mittelalter mussten die Spielleut‘ schließlich auch ohne Regenschirm durch alle Wetter weiterspielen. Mein Kompliment an euch Jungs (und das Mädel mit der Geige)! Ich freue mich schon darauf, euch mal wieder zu treffen (dann hole ich mir CD und Autogramme, versprochen!).
Der Sonntagsumzug sorgte für Abdrucknot im „Freien Wort“
Seit dem 26. – 29.06.2014 wird die hiesige Regionalzeitschrift „Freies Wort“ von Leserzuschriften bombardiert.
Zuschriften an Tageszeitungen sind normalerweise eher mit Kritik und Anregungen gefüllt. Dieses Mal war das anders: Alle Gäste der 600 Jahr Feier haben noch nie ein ähnlich prächtiges Event wie in Spechtsbrunn erlebt. Jeder ist voll des Lobes und wünscht sich eine baldige Wiederholung oder ähnliche Feste. Aus der Not heraus fasste die Redaktion der Tageszeitung Lob und Meinungen zu einer eigenen, weiteren Seite über Spechtsbrunn zusammen.
Mir sind die optischen Eindrücke des Sonntagsumzuges in Spechtsbrunn wichtig. Denn so viele Vereine, Stände, Gruppen, Gewandungen, witzige Accessoires und authentische Mittelalterleute hat die Region möglicherweise in 600 Jahren nicht oder nur vereinzelt zu sehen bekommen. Deshalb sage ich in Worten dazu nur so viel: Trotz Schüttregen war das eine Riesensache, für Augen, Ohren und gute Laune!
… dann leben sie noch heute …
Die Menschen dieses unwirtlichen, aber gepflegten Bergdorfs am Rennsteig sind eigen, wie es in vielen Bauernregionen halt so ist
Sie geben einander Hausnamen, streiten um Grenzsteine und den ersten Gruß, mögen die einen lieber und andere weniger. Trotz dieser thüringisch-starren Natur fanden sich die »Murzen« untereinander und mit anderen Dörfern / Gemeinden / Vereinen für dieses unvergessliche Highlight zusammen. Sogar der Dorfbackofen konnte durch rechtzeitige Einigung zum Fest verwendet werden und spendete mittelalterliche Köstlichkeiten vom Allerfeinsten.
Möglicherweise hat die 600 Jahr Feier das allgemeine Verhalten positiv verändert. Zwar glaube ich nicht, dass ein Spechtsbrunner nun einem Hasenthaler oder Sonneberger um den Hals fällt, den er nicht mag. Aber wenn das bisher gelungene Überleben auch seine Ursache im gemeinsamen Organisieren von Festen hatte, dann wünsche ich mir, dass dies künftig weitergelebt wird. Der derzeitig schwachen Geburtensituation und eventuellen Zuzügen täte es auf jeden Fall gut.
Ich spreche aus persönlichem Erleben und ganzem Herzen MEINEN DANK an die Organisatoren, Mitwirkenden und Gäste aus!
Annette Bredendick am 05.07.2014