Inakzeptabel viele Wählerstimmen gehen verloren
Fünf-Prozent-Klausel muss modifiziert werden
Die Fünf-Prozent-Klausel vermeidet eine Zersplitterung des Parlaments durch zu viele Kleinparteien. Wenn sie aber dazu führt, dass mehr als fünfzehn Prozent der abgegebenen Wählerstimmen nicht im Bundestag vertreten sind, widerspricht sie dem Grundverständnis der Demokratie. Dieser Effekt trat bei der Bundestagswahl 2013 ein. Auch wenn ich persönlich den Nichteinzug der FDP und noch mehr der AfD in den Bundestag begrüße, halte ich den Ausfall von über fünfzehn Prozent der Wählerstimmen als demokratischen Grundprinzipien zuwiderlaufend. Welche Lösungen sind für spätere Wahlen denkbar?
Die Fünf-Prozent-Klausel lässt sich variieren
Neben einem generellen Absenken der Fünf-Prozent-Klausel auf drei Prozent, wie für die Europawahl bereits bestehend, existieren weitere Möglichkeiten, den Anteil der nicht im Bundestag vertretenen Stimmen zu vermindern. Sowohl sinnvoll als auch einfach umzusetzen ist die Beschränkung der nicht im Parlament vertretenen Stimmen auf den doppelten Prozentwert der gültigen Sperrklausel. Sobald mehr als zehn Prozent der abgegebenen gültigen Wählerstimmen wegen der Fünf-Prozent-Klausel nicht im Parlament vertreten sind, wird diese in 0,5-Prozent-Schritten gesenkt. Falls nach der ersten Senkung auf 4,5 Prozent die Menge der nicht im Bundestag oder Landtag repräsentierten Stimmen unter neun Prozent (das Doppelte von den nach der ersten Senkung geltenden 4,5 Prozent) fällt, gilt für die aktuelle Wahl die 4,5-Prozent-Klausel. Andernfalls wird die Sperrminorität weiterhin abgesenkt, bis weniger Stimmen als das Doppelte der errechneten Messzahl bei der Sitzverteilung unberücksichtigt bleiben. Dieses Modell lässt die Fünf-Prozent-Hürde grundsätzlich bestehen, führt für diese aber ebenfalls ein Maximalquorum an unberücksichtigt bleibenden Stimmen ein. Eine Variante der fallweisen Heruntersetzung der Fünf-Prozent-Hürde bezieht diese auf die Wahlbeteiligung. Dabei gelten fünf Prozent der abgegebenen gültigen Wählerstimmen bei einer Wahlbeteiligung von einhundert Prozent, bei einer Wahlbeteiligung von siebzig Prozent wird daraus eine 3,5-Prozent-Hürde. Diese Berechnungsmethode verringert die Gesamtanzahl der mit ihrer Stimme nicht im Parlament vertretenen Bürgerinnen und Bürger, wozu faktisch auch die Nichtwähler gehören. Sie lässt allerdings unberücksichtigt, dass NichtwählerInnen sich möglicherweise bewusst gegen die Wahlteilnahme entschieden haben. Damit die Aussage, keine Partei wählen zu wollen, weiterhin möglich bleibt, müssen ungültige Stimmen bei der Berechnung der Wahlbeteiligung mitgezählt werden, denn die Abgabe eines nicht gültigen Stimmzettels bietet die Möglichkeit, aktiv (und nicht passiv wie beim Fernbleiben von der Wahl) keine der kandidierenden Parteien zu wählen.
Die Ersatzstimme als mögliche Ergänzug oder Alternative zur Variation der Fünf-Prozent-Hürde
Eine weitere Möglichkeit, Stimmen für nicht in das Parlament einziehende Parteien nicht verfallen zu lassen, besteht in der Einführung einer Ersatzstimme. Der Wähler hat in diesem Fall die Möglichkeit zu entscheiden, welcher Partei seine Stimme zufallen soll, wenn die eigentlich gewählte politische Gruppierung an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert. Dieses Modell stößt möglicherweise auf Bedenken, da die Zweitentscheidung nicht zwingend unmittelbar getroffen wird. Die Bedenken beruhen vorwiegend auf der nicht eindeutigen Festlegung, was unmittelbar im Wahlrecht bedeutet – der Begriff bezieht sich eigentlich darauf, dass jede und jeder Wahlberechtigte selbst für die Stimmabgabe verantwortlich ist – und lassen sich durch eine Definition der Unmittelbarkeit im Wahlrecht oder den einfachen Zusatz im Gesetzestext, dass die Einführung einer Ersatzstimme nicht die Unmittelbarkeit der Wahl beeinflusst, zerstreuen.
Welches Modell ziehe ich vor?
Ich ziehe eine Herabsetzung der Fünf-Prozent-Klausel auf drei Prozent unter zusätzlicher Einführung eines Maximalquorums der nicht im Parlament berücksichtigten Stimmen vor. Sobald die Anzahl der bei der Sitzverteilung entfallenden Stimmen mehr als sechs Prozent (das Doppelte der Sperrklausel) beträgt, sollte diese verringert werden – wobei eine Drei-Prozent-Hürde Verringerungsschritte um 0,25 Prozent rechtfertigt.
Die sogenannte Minderheitsregierung ist die demokratischste Form der parlamentarischen Demokratie
Parteien in Deutschland streben danach, eine feste Koalition für die gesamte Regierungsdauer einzugehen und bezeichnen die Suche nach wechselnden Mehrheiten abwertend als Minderheitsregierung. Genau diese entspricht aber dem Grundgedanken der parlamentarischen Demokratie, zumal oft übersehen wird, dass Abgeordnete ihrem eigenen Gewissen und dem Grundgesetz nach nicht dem Fraktionszwang verpflichtet sind. Für die Wahl der Bundeskanzlerin oder des Bundeskanzlers ist eine Mehrheit erforderlich. Diese entsteht aber nicht zwingend dadurch, dass sich Parteien für eine Wahlperiode verpflichten, sondern durch die Mitwahl des Kanzlers oder der Kanzlerin ohne gleichzeitige Zustimmung zu allen künftigen Entscheidungen. Die Suche nach Mehrheiten für das jeweilige Gesetzesvorhaben macht das Regieren schwerer, aber zugleich transparenter und demokratischer. Zudem macht sie dem Parlament deutlich, dass es die Aufgabe hat, in der vom Volk entschiedenen Zusammenstellung zu regieren. Aktuelle Diskussionen um dauerhafte Koalitionen wirken so, als hätte das Volk die Aufgabe so zu wählen, dass die Regierungsbildung leicht fällt.