Heidi Dahlsen - Lebt wohl Familienmonster
Heidi Dahlsen Lebt wohl FamilienMonster
Heidi Dahlsen ist die Autorin dieses berührende Buches. Wie in all ihren Werken, schreibt sie aus dem Leben. So stilsicher und echt, als würde man „sich selbst“ lesen. Sie teilt Ihr Schicksal und wir erkennen uns in Teilen wieder. Heidi Dahlsen hat nicht nur Talent Worte so zu verfassen, dass diese uns zum lesen verführen, nein, sie kann damit auch berühren. Hier habe ich eine kleine Leseprobe für Euch in der Hoffnung Euch genauso auf den Geschmack zu bringen, wie mich dieses Buch berührt hat.
1. Krippenspiel
Es wurde nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich nur aus Versehen entstanden bin.
Meine Eltern mussten bis zu ihrer Hochzeit im Sommer 1959 bei meinen Großeltern in der Nähe von Leipzig wohnen. Und weil meine Oma nicht gut im Verteilen von Arbeiten war, sondern lieber alles alleine erledigte, hatten mein Vater und meine Mutter einfach zu viel Freizeit, in der ihnen scheinbar keine angenehmere Beschäftigung einfiel, als mich zu erschaffen.
Kurz vor meiner Geburt zogen meine Eltern in eine eigene Wohnung und hatten dann wahrscheinlich keine Langeweile mehr, denn für Geschwister reichte es nie – leider.
Im Alter von sechs Monaten wurde ich in die Gesellschaft anderer Knirpse eingeführt und besuchte täglich die Kinderkrippe. Erinnern kann ich mich an diese Zeit nicht mehr.
Auch nicht daran, dass wir in der Krippe alle in einer Reihe sitzend gleichzeitig aufs Töpfchen machen mussten bzw. sollten.
Ob sich das nun negativ oder positiv auf meine Entwicklung ausgewirkt hat, sei dahingestellt, denn ich weiß ja nicht, wie sich die Dinge entwickelt hätten, wenn es anders gewesen wäre.
Mein Mann hat als Kind nie eine Krippe oder einen Kindergarten von innen gesehen. Da kann ich nur sagen, dass das nicht so gut war, denn er hat unter anderem nie gelernt, wie man richtig isst.
Unsere Erzieherinnen ermahnten uns immer: „Schön am Rand anfangen, denn in der Mitte ist das Essen sehr heiß.”
Mein Mann fängt heute noch einfach zu löffeln an und brubbelt dann jedes Mal leise vor sich hin:
„Mensch, ist das Zeug wieder heiß. Da verbrennt man sich ja die Schnauze”, und hofft, dass ihn niemand verstanden hat.
Seine Mutter würde jetzt sofort ausrufen: „Der Achim nimmt solche Wörter nicht in den Mund!”
Ha! Wenn die wüsste ...
Es sei ihm verziehen, denn solange die Zunge glüht, hat man große Schmerzen und kann leicht die Beherrschung verlieren.
Hätte er eine Kita besuchen dürfen, wüsste er so etwas.
Aber leider ...
In der Krippe wurde ich sehr gelobt, weil ich so gut aß. Die Köchin füllte immer zuerst meinen Teller, und sobald sie um den Tisch herum war, hatte ich bereits alles restlos weggeputzt und bekam zur Belohnung den zweiten „Schlag”.
„So ist es fein. Du musst immer schön aufessen, damit du groß und stark wirst”, sagte sie zu mir.
Wer gibt Erwachsenen eigentlich das Recht, kleine Kinder so zu belügen?
Wenn ich wenigstens groß geworden wäre ...
Nach heutiger Erkenntnis weiß ich, dass damals auf diese eigentlich nur gut gemeinte Art und Weise mein bleibendes Übergewicht angelegt wurde.
Meine Mutter berichtete öfter ganz stolz, dass sie mir bereits im zarten Alter von einem halben Jahr ein Brötchen in die Hand drückte, mich damit in eine Sofaecke klemmte und dann erst einmal in Ruhe einkaufen ging. Als sie nach Hause kam, saß ich immer noch
so da und war auch schon satt.
Meine Eltern übten sich sehr früh darin, mich allein zu lassen. Wahrscheinlich sollte das meine Selbstständigkeit fördern.
Nach meinem dritten Geburtstag kam ich in den Kindergarten. ...
Ich kann Euch versprechen, das geht lustig, zynisch und absolut irre weiter. Ich habe mich sosehr wieder erkannt, dass ich das Buch unbedingt weiterempfehlen muss.
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