Kurzgeschichte von D.S. Schley
Kurzgeschichte: Die Geräusche der Nacht
Kurzgeschichte der Kurzgeschichtenautorin D.S. Schley: "Die Geräusche der Nacht"
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Die Geräusche der Nacht
Kennen Sie dieses Gefühl? Sie wachen nachts auf und wissen nicht, warum sie aufgewacht sind. Was hat Sie aus dem Schlaf gerissen? Ein komisches Geräusch? Ein schlechter Traum? Oder haben Sie einfach nur Durst?
Genau mit so einem unbestimmten Gefühl wachte Melina auf. Verwirrt schaute sie sich um, doch in ihrem Zimmer war es stockdunkel und so konnte sie überhaupt nichts sehen. Langsam erhob sie sich aus ihrem Bett und schlüpfte in ihrem Morgenmantel. Barfuss verlies sie ihr Zimmer, jedoch nicht, ohne vorher das Licht anzumachen. Noch immer wusste sie nicht, warum sie eigentlich aufgewacht war, aber sie wusste, das irgendwas nicht in Ordnung war. Leise schlich sie die Treppe runter und stand dann in der Diele. Dies war einer der seltenen Momente, in denen sie sich einen Mann zur Seite wünschte. Doch Melina war schon seit geraumer Zeit alleine und die meiste Zeit über wollte sie das auch nicht ändern. Sie war Witwe. Ihr Mann kam vor einem Jahr ums Leben. Bei einem Badeurlaub war er zu weit raus geschwommen und ertrunken. Melina konnte bis heute noch nicht ans Meer fahren, weil die Erinnerungen an Mike einfach zu stark waren. Jede Nacht träumte sie von ihm- so auch in dieser. Oft wachte sie dann auf, weil die Erinnerungen einfach zu schmerzhaft waren, aber nicht heute Nacht. Sie war von einem unheimlichen Gefühl aufgewacht. Inzwischen war die junge Frau in der Küche angekommen und war gerade dabei, das Licht anzuknipsen. In dem Moment jedoch, als sie das getan hatte, wünschte sie sich, sie wäre im Bett liegen geblieben. Denn was sie da vor sich sah, war mehr als sie ertragen konnte. Denn vor ihr stand - sie konnte es nicht fassen - Mike. Er stand an der Anrichte und bestrich sich ein Brot.
"Mike?" sprach Melina ihn fassungslos an. "Bist du es wirklich? Aber... Du...". Melina stand direkt vor ihm. Aber sie wusste, dass das nicht sein kann. Denn sie hatte mit eigenen Augen gesehen, wie er ertrunken war.
Er war TOT!
"Du hast dir die Haare geschnitten!" meinte Meike plötzlich kauend. Ruckartig hatte er sich zu ihr umgedreht und starrte sie aus
meerblauen Augen an. Seine Augen machten Melina noch mehr Angst, als der Rest, aber sie wusste nicht warum. Instinktiv strich sie
noch mal durch die Haare. "Ja, das habe ich! Ich brauchte eine Veränderung!" entgegnete Melina mit zittriger Stimme. "War mein
Abgang denn nicht Veränderung genug?"
Diese harten Worte brachten Melina noch mehr aus dem Gleichgewicht. "Warum sagst du so was? Ich habe dich doch nicht ertränkt! Du...du...hattest einen Krampf... das sagten zumindest die Ärzte...!" stammelte Melina. Jetzt wusste sie, warum sie aufgewacht war. Sie hatte jemanden in der Küche hantieren gehört. Doch jetzt, wo Mike hier vor ihr stand, wusste sie, dass sie auch instinktiv aufgewacht war. Sie hatte Angst gehabt. Aber warum sollte sie Angst haben? Vor ihr stand ihr Mann - zwar ihr toter Mann, aber ein Mann, der ihr nie Böses getan hatte. Trotzdem hatte sie das übermächtige Gefühl, das sie wegrennen sollte. Doch es schien, als ob sie gelähmt war. Sie konnte sich keinen Meter bewegen.
"Du brauchst keine Angst zu haben! Ich tue dir nichts - noch nichts..." erklärte ihr Mike mit berechnender Stimme. Er hatte sich inzwischen direkt vor sie gestellt und starrte sie lüstern an. Seine kalten Augen musterten sie von oben bis unten. "Du bist noch immer eine überaus attraktive Frau. Es ist schon lange her, dass ich mit dir zusammen war!" Melina starrte ihn sprachlos an. Diese Worte machten sie noch ängstlicher, als sein Blick. Sie hatte sich schon vor geraumer Zeit mit seinem Tot abgefunden und jetzt war er wieder da? Das konnte und wollte sie nicht glauben. Als ob ihr diese Gedanken einen Auftrieb geben würden, trat sie einen Schritt zurück und starrte ihn herausfordernd an.
"Was willst du hier? Du bist tot und Tote kommen bekanntlich nicht zurück." erklärte sie ihm mit fester Stimme. Doch ihr wieder gewonnenes Selbstvertrauen schien ihn nicht zu beeindrucken. Ganz im Gegenteil - er lachte. Es schien ihn zu amüsieren.
"Ach ja. Und warum bist du dir da so sicher? Ich stehe doch vor dir oder etwa nicht?" fragte er sie höhnisch. Wieder kam er einen Schritt näher auf sie zu und je näher er kam, desto weiter wich Melina vor ihm zurück. " Warum hast du Angst vor mir?" herausfordernd starrte Mike sie an. " Ich habe dir doch nie Böses getan. Du bist diejenige, die mich ertrinken ließ. Nicht ich stand am Ufer und habe hysterisch gekreischt! Nein! Du hast mich sterben lassen. Ich habe dir nie Böses getan."
Verstört schaute Melina ihn an. Erst jetzt viel ihr auf, dass Mike ganz nass war. Es war, als ob er geradewegs dem Meer entstiegen war. Auch seine Augen hatten diese komische Farbe. Normalerweise hatte Mike braune Augen, doch jetzt hatten sie das Blau vom Meer. " Du weißt ganz genau, dass ich dich nicht ertrinken ließ. Ich bin ins Wasser gesprungen, aber ich konnte dich nicht mehr retten. Du warst zu weit draußen. Ich konnte dich nicht retten." Versuchte Melina ihm verzweifelt zu erklären. Doch an seinem Gesichtsausdruck sah sie, dass er an ihre Aussage zweifelte. Sie bemerkte, dass er immer noch ein sehr gut aussehender Mann war. Groß und schlank. Nur seine Hautfarbe war komisch. Sie schimmerte weder weiß, noch braun, sondern hatte eindeutig einen bläulichen Schimmer. Da Mike sie noch immer lüstern anstarrte, legte sie ihre Hände an den Morgenmantel und hielt ihn bis zum Hals zu. Dann drehte sie sich um und wollte ans Telefon laufen. Doch Mike stellte sich zwischen sie und das Telefon.
"Angst?" fragte er hämisch. "Ich möchte nur einen Kuss! Mehr nicht." Angewidert drehte Melina sich um und rannte zur Tür. Doch plötzlich war unter ihr eine große Pfütze und seltsamerweise bewegte sich die Pfütze und das sogar sehr schnell. An der Tür baute diese Pfütze sich auf und wurde... zu ihrem Mann.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte Melina ihn an und schrie. Sie wusste nicht mehr, wie lange sie schrie, aber als sie sah, dass Mike sich ihr näherte, machte sie auf dem Absatz kehrt und lief so schnell sie konnte. Als sie an der Haustür angelangt war, riss sie diese auf und lief noch weiter. Sie lief so weit sie nur konnte und selbst als sie am Ende war, lief sie noch weiter. Manchmal drehte sie sich um, aber alles, was sie sehen konnte, war Dunkelheit. Die Pfütze, die immer hinter ihr her "rannte" bemerkte sie nicht. Am Rande des Zusammenbruches bemerkte Melina weder wo sie hinlief, noch ob ihr jemand folgte. Ihr Gedanken rasten, aber das einzig sinnvolle, das ihr einfiel, war RENN! Sie wusste intuitiv, wenn sie stehen blieb, würde er sie kriegen und wahrscheinlich auch töten. Warum er sie töten wollte, hatte sie inzwischen schon begriffen - er gab ihr die Schuld an seinem Tod. Doch unerklärlich für sie war noch, warum er hier war. Wie ein Toter zurück ins Leben kehren konnte. Aber das allerschlimmste war die Art, wie er sie verfolgt hatte. Während sie noch rannte, bemerkte sie, dass sie weinte und schrie. Doch da ihr Haus ziemlich abseits lag, konnte niemand sie hören. Trotzdem hatte sie die winzige Hoffnung, dass sie bis zum Dorf kommen würde und dort Hilfe holen könnte.
Plötzlich blieb sie jedoch stehen. Sie stoppte so abrupt, dass sie das Gleichgewicht verlor. Wie um alles in der Welt sollte sie Hilfe holen? Wer würde ihr denn schon glauben? Ein Toter kehrte zurück und wollte sie töten?! Bei diesem lächerlichen Gedanken fing sie an hysterisch zu lachen. Sie lachte, bis ihr die Tränen kamen. Minuten später hatte sie sich wieder gefasst und holte tief Luft. Als sie dann aufsah, bemerkte si, dass sie am Meer war. Welch ein Zufall´ dachte sie schon wieder halb hysterisch. ´Sie rannte vor ihrem Mann weg, der sich in Wasser verwandeln konnte. Und wo rannte sie hin? Zum Meer. Wie bescheuert war sie eigentlich?'"Und hat es Spaß gemacht?" fragte plötzlich eine bekannte Stimme hinter ihr.Erschrocken fuhr sie herum und stand direkt vor ihrem Mann. Lachend über ihr entsetztes Gesicht packte er sie am Arm und zog sie ins Wasser. Wie betäubt ließ Melina das geschehen ohne sich zu wehren und erst als ihr das Wasser bereits über die Hüften stieg, wachte sie aus ihrer Erstarrung auf und begann sich zu wehren. Mit einem lauten Aufschrei entriss sie ihm ihren Arm und versuchte aus dem Wasser zu kommen. Sie dachte schon, sie hätte es geschafft, aber gerade als ihr das Wasser nur noch bis zu den Waden ging, entstand vor ihr eine riesige Welle, die sich zu ihrem Mann formierte.
"Was zum Teufel bist du?" brüllte sie ihn weinend an. "Warum tust du das?" Doch Mike, oder was immer dieses Ding war, gab ihr keine Antwort. Stattdessen nahm er diesmal beide Arme und zog sie wieder ins Wasser.
"Du willst wissen was ich bin?" fragte er höhnisch. "Ich bin das, was du aus mir gemacht hast. Nicht mehr und nicht weniger!"
Vor Schreck ganz starr konnte Melina keine Antwort geben. Ihr Gehirn arbeitete auf Hochtouren, aber sie brachte kein einziges Wort raus.
"ICH bin das Meer, kleine Melina. Wir wurden gemacht aus dem Wasser der Meere und wir werden wieder zu dem Wasser der Meere. DAS ist das Prinzip der Meere. Und da du mich zum Meer gemacht hast, werde ich dich jetzt zum Meer machen!" beantwortete er ihre Frage. "Was möchtest du denn noch so wissen?" Doch Melina antwortete immer noch nicht. Sie betete zu Gott. Verabschiedete sich von ihm und ihren wenigen Freunden, denn in diesem Moment wurde ihr klar, dass ihr letztes Stündchen geschlagen hatte. Das einzige was sie jetzt noch wollte, war nicht so zu werden wie Mike..."Nur einen Kuß bist du entfernt vom Meer!" hauchte Mike an ihren Lippen. "Nur einen Kuß!"
Immer näher kam er mit den Lippen und er drückte Melina so fest an sich, dass sie sich nicht mehr wehren konnte. So ließ sie es geschehen, dass er sie schließlich küsste. Es konnte ja nicht schlimmer sein, als das Ertrinken selbst. Doch darin sollte sie sich irren.
Plötzlich stellte sie fest, dass der Kuß sie ertränkte.
Während Mike sie küsste, durchfuhren sie die wirrsten Gedanken. Ihre damalige Liebe zu ihm und wie gerne sie sich früher geküsst hatten. Fast hätten ihre alten Gefühle für Mike wider die Oberhand gewonnen, doch dann plötzlich floss das Wasser in ihren geöffneten Mund. Der Kuss wurde zu Wasser! Mike hatte ihr nur den Mund öffnen wollen, damit er sie ertränken konnte.
Langsam aber sicher lief immer mehr Wasser ihre Kehle hinunter und gerade als sie glaubte, es könnte nicht mehr schlimmer werden, zog Mike sie tiefer ins Wasser. Sie konnte nicht mehr stehen und sank wie ein Stein. Immer tiefer und sie konnte nichts dagegen tun. Das letzte was sie noch sah, bevor das Leben endgültig aus ihr wich, war das Gesicht ihres Mannes, das sie höhnisch grinsend ansah...
Hören Sie nachts auch komische Geräusche? Dann bleiben Sie das nächste Mal lieber liegen... Es könnte ihr schlimmster Albtraum werden...
The End