Das Leben ist nur ein Spiel?
Optimismus
Glaubt man der Werbung, ist unser Leben vor allem Spaß, Vergnügen, Lust, Luxus und Erholung. Neuerdings wirbt eine Wettbörse im TV sogar mit dem Slogan: Das Leben ist nur ein Spiel. Ein Slogan mit fataler Botschaft, wenn man genau hinschaut. Er sagt: "Riskiere, du kannst eh nicht scheitern. Also brauchst du auch keine echte Verantwortung übernehmen". Und ein Slogan, der in den Köpfen von tausenden Spielsüchtigen wie Hohn klingen muss (zumindest wenn sie sich ihre Sucht eingestehen).
Botschaften wie diese sind psychologisch sehr wirkmächtig. Gerade wenn sie mit der Realität wenig kompatibel sind. Werden die Lebensumstände immer schwieriger, die persönlichen Beziehungen immer loser und der Halt im Leben im schwächer, dann werden viele Menschen sehr suggestibel für alles, was das Leben zu erleichtern verspricht. Ein bekannter Ratgeber hat genau deswegen Erfolg, denn er zeigt vermeintlich, wie es geht: Simplify your life. Ach ja, und: "Sorge dich nicht, lebe" hat sich ja auch bestens verkauft.
Dass solche einfachen Glaubensüberzeugen eigentlich nicht funktionieren können, spüren viele Menschen intuitiv. Vielleicht gehen die Dinge anfänglich tatsächlich besser, wenn man kochrezeptartige Motivationsformeln anwendet. Langfristig verschlimmert sich die Situation oft nur noch. Trotzdem ist der Wunsch Vater des Gedankens und Vereinfachungsillusionen erfreuen sich weiterhin großer Beliebtheit.
Die Psychologie selbst hat lange Zeit zu diesem Irrtum beigetragen. Das Credo lautete, dass mit Optimismus alles besser gehe. Pessimisten würden häufiger erkranken und hätten weniger Erfolg im Leben. Solche Befunde stammen aber in der Regel von eher einseitig und eindimensional konzipierten Untersuchungen.
Wenn man die Zusammenhänge genauer unter die Lupe nimmt, kommt man zu einem ganz anderen Ergebnis: Menschen, die unentwegt optimistisch sind, scheitern öfter bei Zielen, die Selbstkontrolle erfordern, also dann, wenn sie etwas Unangenehmes durchstehen oder ein schwieriges Ziel erreichen müsen. Diesen Zusammenhang findet man vor allem dann, wenn man sich mit Zielen nicht hundertprozentig identifiziert. Da nur ganz wenige Menschen ihr Leben wirklich selbstbestimmt und kongruent führen, führt einfältiger Optimimus sogar zu einem regelrechten Dilemma. Folge: Selbstentfremdung.
Wer alles schönredet oder die rosarote Brille aufsetzt, wenn er schwierige Lebensphasen durchschreitet, nimmt sich auch die Möglichkeit, persönlich zu reifen und wachsen. Entsprechende Untersuchungen zeigen, dass die Persönlichkeitsreife auch davon abhängt, ob und inwieweit man negative Erlebnisse an sich heran lässt. Menschen, die kleinreden, abtun, verdrängen und sonstwie abwehren, haben öfter das, was man in der Psychologie ein flaches Selbst nennt. Aus diesem Grund sind Depressive zumindest was die Komplexität und den Realismus Ihrer Wahrnehmung angeht sogar besonders "entwickelt". Allerdings gelingt es ihnen nicht, diese Erkenntnisse proaktiv umzusetzen.
Worauf es lankommt, um Herausforderungen und Hüreden zu meistern ist die Dialektik von Optimismus und Pessimismus. Wer sich einseitig dem einen oder anderen verschreibt, stellt sich psychologisch selbst ein Bein. Anders geht es, wenn man zwischen beiden Polen pendelt". Das ist ein besonders gute Mittel, handlungsfähig, entscheidungsfreudig und erfolgreich zu sein.
In guten Coachings kann man das Pendeln relativ einfach lernen. Dabei ist auch Ziel, Widersprüchlichkeiten sinnhaft zu machen. Gerade diese Fähigkeit macht nämlich gestandene Persönlichkeiten aus.