Frederik Weitz

Ratgeber, Anleitung & Ausbildung

Parodie und Travestie als Schreibtechniken

Inhalt

Parodieren und Travestieren sind schriftstellerische Techniken, die seit über zweitausend Jahren existieren. Nicht nur junge Schriftsteller sollten auf diese zurückgreifen, sei es als Übung, sei es als Vorbereitung einer eigenen und originalen Geschichte.

Folgende Aspekte dieser Schreibtechniken lernen Sie im folgenden Artikel kennen:

  • Die Theorie von Intertext und Hypertext
  • Parodien als Übersetzungen
  • Parodien als Extrapolationen
  • Travestien
  • Techniken der Parodie und Travestie
  • Üben und Analysieren
  • Teilparodien und Imitationen

Die Theorie von Intertext und Hypertext

Parodien und Travestien gehören zu den typischen Intertexten. Intertexte funktionieren nur in Bezug auf einen bereits vorhandenen Text, der diesen zugrunde liegt. In einfacheren Worten gesagt: beide Genres besitzen eine Vorlage, von der sie sich abheben.
Folgt man der Theorie über den Intertext weiter, so korrespondieren Texte auf vielerlei Ebenen. So sind die Liebesgedichte von Brecht und Goethe zwar sehr verschieden, doch haben sie einen gemeinsamen Bezugspunkt: die Liebe. Über diesen stellen sich dann Bezüge her, die mal als Ähnlichkeit, mal als Kontrast gelesen werden können. Darüber lassen sich zahllose Texte miteinander verknüpfen. Deshalb spricht man auch besser von Intertextualität als einem allgemeinen Phänomen von Texten.
 

Parodien als Übersetzung

Die Parodie verändert das Original, indem sie dieses in ein anderes Weltbild oder eine andere Situation übersetzt oder bestimmte Aspekte des Originals extrapoliert. Übersetzende Parodien sind weitestgehend ernsthaft, während extrapolierende Parodien oft eine komische Wirkung haben.
Eine typische ernsthafte Parodie ist der Siddharta von Hermann Hesse. Dieser wird im Untertitel Eine indische Dichtung genannt. Damit verweist das Buch selbst auf die Vorlage, die parodiert wird. Allerdings ist das Buch kein humorvolles. Welcher Art ist also die Parodie? Indem die Erzählung eines beispielhaften Lebens mit modernen humanistischen Ideen angereichert wird. Die Legende vom Pfad des Erleuchteten wird in ein neuzeitliches Weltbild übersetzt.
Ähnlich transponiert Thomas Mann die Legende des Doktor Faustus in seinem gleichnamigen Roman in das Dritte Reich. Der Tonsetzer Adrian Leverkühn sucht in diesem Roman nach der perfekten Musik, der perfekten Komposition. Der Perfektionismus karikiert das faschistische Postulat der Herrenrasse, verbindet sich aber auch mit diesem in einer unterschwelligen Gemeinsamkeit (wer das perfekte Musikstück komponiert, ist ein Übermensch). Neben dem Faust nutzt Thomas Mann aber auch das Leben von Nietzsche als Vorlage. Die Musik, die der Protagonist komponiert, ist an die Beschreibung der Zwölftonmusik von Arnold Schönberg angelehnt.
Ernste Parodien zeigen häufig anhand eines Kernthemas der Vorlage, wie sich dieses in einem anderen kulturellen Umfeld ändert und beleuchten so gesellschaftliche Wandlungen.
 

Parodien als Extrapolationen

An dieser kurzen Beschreibung sehen Sie bereits, dass Parodien auf recht vielfältige Art zustande kommen. Und Sie haben damit eine Technik kennen gelernt, die von großen Schriftstellern häufig genutzt wird: sie parodieren nicht einen, sondern mehrere Texte. Dies ist allerdings eher den ernsthaften Parodien eigen. Humorvolle Parodien stützen sich eher auf eine Grundlage.
Eine typische (wenn nicht die typische) Technik der Parodie ist die Extrapolation, das Herausarbeiten weniger typischer Merkmale einer Vorlage. So arbeite Rabelais - folgt man Michail Bachtins Beschreibung - an einer "parodistischen Zerstörung" des "verlogenen menschlichen Wortes", indem er die syntaktischen Konstruktionen und ihre logischen Elemente ins Absurde triebe (vgl. Bachtin 1979, S. 199).
Häufiger jedoch werden die Charaktereigenschaften von Personen übertrieben dargestellt. Damit nähert sich die literarische Parodie der Karikatur. Genauso, wie in der karikierenden Zeichnung der betreffende zum Beispiel eine besonders hohe Stirn hat, so zeigt eine Figur einer Parodie eventuell ein überkorrektes Verhalten oder ist besonders wahllos in Bezug auf seine Sexualpartner. Die Extrapolation ist eine Übertreibung weniger Merkmale, wobei zugleich andere Merkmale weggelassen werden.
 

Travestien

Parodien nutzen zwar literarische Vorlagen, lösen sich jedoch weitestgehend von diesen ab. Travestien liegen dichter an diesen. Sie wandeln nicht den Stoff an sich, sondern versetzen diesen nur in eine weniger beeindruckende Umgebung. Der ursprüngliche Stoff wird also dadurch abgewertet, dass die Figuren keine Helden, Könige und hochqualifizierten Wissenschaftler sind, sondern Versager, Bettler und verrückte Erfinder (oder ähnliches); zudem wird die Sprache oft vulgär, manchmal sogar obszön. Die Vorlage wird maskiert.
Eine mögliche Travestie würde aus dem englischen Geheimdienst eine Organisation seltsamer Idioten machen, die alle mir ihren eigenen Problemen und Eitelkeiten beschäftigt sind und recht wenig an die Spionageabwehr denken.
Die Trennung zwischen Travestie und Parodie ist meist nicht möglich. In einem konkreten Text vermischen sich diese beständig. Travestien allerdings beziehen sich entweder auf berühmte Klassiker oder auf weitverbreitete kulturelle Objekte, wie etwa Harry Potter oder The Vampire Diaries.
 

Techniken der Parodie und Travestie

Der Schriftsteller kann eine Vorlage parodieren, indem er das Original in eine andere kulturelle oder ideologische Situation bringt oder bestimmte Züge der Geschichte deutlicher macht und andere unterschlägt. So ist der Zombie in "Fido" zwar ein herumtorkelndes Etwas, ihm fehlt aber letzten Endes die Aggressivität der üblichen Filmzombies. Oder stellen Sie sich vor, Sie würden Steinbecks "Früchte des Zorns" auf die Situation polnischer Erntehelfer in Brandenburg übertragen. Ebenso finden sich in vielen Vorabendserien Anspielungen auf Klassiker wie Shakespeares Romeo und Julia oder Hamlet. Diese werden zwar eher ungekonnt eingesetzt, doch handelt es sich auch hier um Parodien.
Travestien ersetzen die Figuren, Orte und Gegenstände des Originals. Es ist nicht mehr Faust, der mit Hilfe von Mephistopheles um sein Gretchen wirbt, sondern Kevin, der durch Vermittlung von Mahmut an eine Ische (berlinerisch für Freundin, aber auch für Schlampe) ranwill. Diese Technik der Maskierung funktioniert natürlich nur, wenn das Original trotzdem sichtbar bleibt. Dies kann durch Verunstaltungen erreicht werden, die aber das Original durchscheinen lassen. So könnte man eine Travestie auf "Twilight" mit @ward, Bello und Jaykopp besetzen (wobei @ward immer so blass ist, weil er ständig vor dem Computer sitzt, Bello wegen ihres Hundenamens andauernd gehänselt wird und Jaykopp nicht sonderlich helle im Kopf ist).
 

Üben und Analysieren

Parodien und Travestien sind keine einfachen Techniken. Sie passen sich der Vorlage an, analysieren diese aber auch und verändern diese auf erfinderische Weise. Dabei ist die Analyse eines Textes die erste Hürde. Der Parodist distanziert sich von der Vorlage, indem er ihren Gesamtzusammenhang zerbricht, auf einige dieser herausgebrochenen Aspekte mehr Wert legt und andere unter den Tisch fallen lässt. Die zweite Hürde ist die enorme Erfindungskraft, die ein Parodist braucht, um eine gewisse Abwechslung in seine Parodie oder Travestie zu bringen. Dies erfordert viel Übung.

  1. Schreiben Sie Goethes Klassiker "Der Erlkönig" auf die moderne Zeit um. Als zentrales Moment nehmen Sie den Vater, der sein Kind retten will und die mystische Erfahrung, die er macht, während er zum Krankenhaus fährt. (Parodie durch Übersetzung)
  2. Schreiben Sie Rilkes Gedicht "Der Panther" auf eine aktuelle politische Situation so um, dass der "betäubte Wille" übertrieben dargestellt wird. (Parodie durch Extrapolation)
  3. Verlegen Sie das "Rotkäppchen" in ein modernes Call Center. Ersetzen Sie Rotkäppchen, Großmutter, Jäger und Wolf durch Angestellte und den Auftrag, der Großmutter Wein und Kuchen zu bringen, durch einen dem Callcenter gemäßen Arbeitsvorgang. (Travestie)

Teilparodien und Imitationen

Auch wenn Sie keine Parodien und Travestien veröffentlichen wollen, sind diese für Ihre schriftstellerische Entwicklung sehr nützlich. Sie lernen dadurch, auf Teile von Geschichten zu achten, diese entsprechend zu verändern und in dieser veränderten Form eventuell in einer Ihrer Geschichten einzusetzen. Diese Technik, seine Geschichte aus anderen Geschichten zusammenzusetzen, nenne ich Mosaik-Technik. Da der moderne Unterhaltungsroman in vielem konventionell ist (also dem Leser schon weitestgehend bekannt) und die Konvention auf Imitation (Nachahmung) beruht, schlage ich also keine neue Technik vor.
In dem Vorwort zu meiner Geschichte "Der Drachen" erläutere ich, aus welchen Versatzstücken ich diese geschaffen habe. Tatsächlich habe ich dort einem meiner Kunden demonstriert, wie man bekannte Szenen so zusammenstellt, dass sie eine komplett neue Geschichte ergeben.