Religion
Rachel Dwyer: „Filming the Gods. Religion and Indian Cinema“ (Filmbuch)
Wenn in Rachel Dwyers Untersuchung „Filming the Gods“ von „indischem Film“ die Rede ist, dann ist das Hindi-Kino, allgemein ja gerne Bollywood genannt, gemeint. Das passt zu diesem gewissen Alleinvertretungsanspruch der Filmindustrie in und um Mumbai, die ja auch den Geburtstag des indischen Films auf 1913 festgelegt hat, denn da entstand der erste fiktionale Film eines Inders, obwohl vorher schon Dokumentarisches gefilmt wurde. Und so wie das Hindi-Kino oft als das indische Kino an sich angesehen wird, so ist es im Allgemeinen auch ein Hindu-Kino. Rachel Dwyer nennt den Hinduismus die „unsichtbare Norm", was nicht heißt, dass es keine Darstellungen islamischen oder christlichen Lebens gäbe, aber dabei handelt es sich doch oft um das Fremde, das Exotische.
Religiöses und Weltliches
Die alten Göttermythen werden zu leicht erkennbaren Gegenwartsgeschichten. Die hinduistischen Rituale (Hochzeit, Beerdigung) sind allgegenwärtig und die hauptsächliche Religion der Hauptfiguren ist der Hinduismus, obwohl ja drei der ganz großen Stars der letzten 20 Jahre, die 3 nicht verwandten Khans (Salman, Aamir und Shahrukh), Moslems sind. Umgekehrt haben die Filme einen Einfluss auf ein religiöses Alltagsleben, in dem Stars gerne wie Götter verehrt werden. Auch die Rituale werden davon beeinflusst. So entstand aus den opulenten Liebesgeschichten des 2012 verstorbenen Regisseurs Yash Chopra eine ganz besondere Art der Hochzeit, die „Yash Chopra Wedding“.
Aber Rachel Dwyer beschäftigt sich in ihrem interessanten Buch nicht nur mit der Wechselwirkung von Säkularem und Religiösem, vorher beschreibt sie in drei Kapiteln ein Stück Filmgeschichte, auf das normalerweise nicht so ausführlich und systematisch eingegangen wird.
Der mythologische Film
Zunächst geht es um den „mythologischen Film“, also hier werden tatsächlich, wie der Buchtitel es sagt, „die Götter gefilmt“. Meistens beruhen die Geschichten auf den beiden großen Ebene Mahabharata und Ramayana und prägten von Anfang an den fiktionalen indischen Film. Der obenerwähnte erste indische Film von 1913 war auch ein „Mythological“: „Raja Harishchandra“ von Dadasaheb Phalke. Diese Filme, mit einem an populärer Kalenderkunst angelehnten visuellen Stil, erfreuten sich in der Folge einer großen Beliebtheit, auch wenn sie von der kulturellen Elite immer mit ein bisschen Verachtung betrachtet wurden, aber deren Meinung über das indische Kino war ja an sich nicht sehr hoch. Mythologische Filme wurden immer gedreht, auch wenn die großen Regisseure des Goldenen Zeitalters wie Raj Kapoor oder Guru Dutt, also der etwa fünfzehn Jahre nach der indischen Unabhängigkeit 1947, mehr an säkularen, modernen Themen interessiert waren. So sank zwar das Verhältnis dieser Filme zur Gesamtproduktion, doch es gab sie. Einen neuen Aufschwung bekamen die göttlichen Themen durch das Fernsehen, als sich Ende der 80er Fernsehserien zur Mahabharata und Ramayana als Straßenfeger erwiesen.
Der devotionale Film
Beim „devotional film“ handelt es sich um eine religiöse Spielart des historischen Films. Hier geht es um die sogenannten „Dichterheiligen“ der religiösen Bewegung des „Bhakti", die der brahmanischen Orthodoxie oft ablehnend gegenüberstanden. Kernpunkt ist die absolute Liebe und Verehrung zu Gott in einem persönlichen Verhältnis. Es ist eine Art volksreligiöse Bewegung, die auch zum ersten Mal regionale Sprachen (nicht nur Sanskrit) als religiöse Sprache benutzte. Interessanterweise hat die Sprache der Lyrik dieser Heiligen einen Einfluss gehabt auf die Sprache des klassischen Bollywood-Liebesliedes, nur dass dann die bzw. der Geliebte angesprochen wird.
Islam im Film
Wegen des islamischen Bilderverbotes kann es ja keine gefilmten Götter oder Propheten geben, doch gibt es eine Reihe von Themen, die im islamischen Milieu spielen, vor allem natürlich die historischen Film aus der Mogul-Zeit, in denen gerne das gute Verständnis beider Religionen betont wird. Dann gibt es Filme, die ganz und gar in islamischen Kreisen spielen. Dafür gibt es den Ausdruck „Muslim social“. Eine ganz wichtige Rolle spielt auch die Sprache der Moslems, das „Urdu“, für den indischen Film, denn viele Textdichter der klassischen Bollywoodzeit schrieben in dieser Sprache und kannten sich gut aus in ihrer lyrischen Tradition, auch wenn die Sprache aus Verständnisgründen natürlich stark vereinfacht wurde.
Bollywood für Fortgeschrittene
Bei „Filming the Gods“ handelt es sich um ein Buch mit wissenschaftlichem Anspruch, was kein Widerspruch dazu ist, dass es Spaß macht, es zu lesen. Allerdings sollten beim Leser zumindest Grundkenntnisse der Geschichte des Hindi-Kinos und des Hinduismus vorhanden sein, sonst wird man vermutlich erschlagen von der knappen Darstellung so vieler Fakten und Zusammenhänge. Die ideale Begleitlektüre ist das Buch „Hinduismus“ der Indologin Angelika Malinar.