Erziehung & Kinder
„Stockholm Ost“ (DVD) – Eine seltsame Liebesgeschichte
Ein tödlicher Autounfall
Das Auto kann eine Waffe sein, das wird gerne vergessen, wenn man im vollelektronischen Wohnzimmer durch die Gegend rollt, wenn man dann vielleicht gerade noch zu Hause im Wohnzimmer gewesen ist, Musik gehört hat und dieselbe Musik jetzt beim Fahren erklingt. In dem schwedischen Film „Stockholm Ost“ (2011) wird ein Mann hinterm Steuer schmerzhaft daran erinnert, als er ein kleines Mädchen totfährt. Kurz zuvor hat er sich noch mit seiner Frau zu Latinomusik bewegt. Jetzt liegt da ein totes Mädchen und weder er noch die Zuschauer werden je genau erfahren, ob er Schuld hatte oder nicht. Auf die Frage, ob er es hätte verhindern können, sagt er nur: „Ich weiß es nicht.“
Und da ihm keine Schuld oder Nachlässigkeit nachgewiesen werden kann, wird er vor Gericht freigesprochen. Und das ist geradezu sein Unglück, denn so entgeht ihm das Gefühl, gebüßt zu haben für etwas, das er sich nicht verzeihen kann. Sein Leben gerät aus den Fugen.
Nichts ist wie vorher
Nicht wie vorher ist es natürlich auch für die Eltern des Kindes. Während die Mutter pausenlos über die Tochter reden könnte, möchte der Vater irgendwann am liebsten vergessen und einen Schlussstrich ziehen. Es fällt ihm zu schwer, über die Tote zu reden, kann nur so perfekt weiterfunktionieren im gesellschaftlichen Leben. Und das ist es ja auch, was erwartet wird. Kann man das nicht nach so einer Katastrophe, gilt man als krank. Die Frage, ob es überhaupt als gesund zu bezeichnen ist, unter diesen Umständen perfekt funktionieren zu können, geht über den Film hinaus, steht aber als Fragezeichen im Raum. Jeder hat einfach andere Mechanismen, um mit Schicksalsschlägen umzugehen. Aber es ist sicher auch etwas sehr Westliches, die Toten abhaken zu wollen.
Dann wird die Geschichte seltsam, denn der Fahrer und die Mutter begegnen sich, und nicht die Tatsache, dass sie sich auf Dauer verlieben, steht hier im Vordergrund, sondern dass der Fahrer der Mutter eine Zeitlang hilft, die Tochter praktisch wieder zum Leben zu erwecken. Er spielt das Spiel, das Mädchen lebe noch, mit, und dies hat tatsächlich eine befreiende Wirkung für beide.
Ein stilvolles Melodrama
„Stockholm Ost“ ist ein stilvoll und kontrolliert inszeniertes Melodrama, manchmal vielleicht etwas zu stilvoll, wenn die Handlung ins Stocken gerät und die Protagonisten beim Grübeln beobachtet werden und dazu Geige und Klavier die Zeit dehnen. Aber es ist nun einmal ein Problem, wenn man zwei Hauptfiguren zeigt, die depressiv und in sich versunken sind. Die apathische Schwere kann sich dann in Augenblicken durchaus auf den Zuschauer ausdehnen.
Aber zum Glück sind dies nur Momente, die vorübergehen, denn das Faszinierende an diesem Film ist, dass man trotz dieser genannten Schwäche nicht das Interesse verliert an der Geschichte. Die Ausleuchtung, die sorgfältige Kameraarbeit sorgen für eine schöne und unwirkliche Stilisierung, die auf den überzeugenden Schluss des Films vorbereitet, in der die Welt am Weihnachtsabend auf fast wundersame Weise für beide Protagonisten wieder ins Gleichgewicht kommt.
Der routinierte Mikael Persbrandt (bekannt aus der TV-Serie "Kommissar Beck"), der zuletzt schon in Filmen wie „Der Hypnotiseur“ (Lasse Hallström) oder „In einer besseren Welt“ (Susanne Bier) gequälte Typen gespielt hat, die wirken, als bereite ein Lächeln ihnen physische Schmerzen, verkörpert die männliche Hauptfigur. Iben Hjejle, die in den letzten Jahren vor allem für das dänische Fernsehen gearbeitet hat, überzeugt als Mutter, die sich einfach nicht abfinden kann.