Der überrollte Bischof
Tiere in Haus, Wald und Feld
Der überrollte Bischof
Zur Einstimmung muss ich hier einfügen, dass die wahren Geschichten, die ich hier erzählen werde, seit rund 15 Jahren in der Ukraine spielen, wo ich bei meiner Frau lebe. Damit sind einige Besonderheiten verbunden, die meinen deutschen LeserInnen vielleicht nicht immer ganz geläufig sind.
Aber Sie sollen wissen, dass ich ein Prinzip habe, von Johann Wolfgang von Goethe so formuliert: „Wahrheit sage ich euch, Wahrheit und immer nur Wahrheit. Meine Wahrheit – ist mir doch keine andere bekannt.“
An dem Tag hatte unsere Svetlana ihren 14. Geburtstag. Zu Gast hatte sich unvermutet Pavels erster Arbeitgeber angesagt. Das war der damalige Bischof Seraphim der Diözese Belaja Zerkov. Weil er wegen seiner vielfältigen anderweitigen Verpflichtungen uns keine genaue Zeit für den Besuch genannt hatte, informierten wir ihn davon, dass Sveta mit ihren jungen Gästen im Wohnzimmer feiern würde und wir ihn deshalb bäten, mit uns im winzigen Kinderzimmer (10,6 Quadratmeter) einen kleinen Imbiss einzunehmen. Der sehr bescheidene kirchliche Würdenträger hatte alles akzeptiert.
Wir hatten dort ein wenig umgestellt und festlich eingedeckt. Pavel hatte ein die Essgewohnheiten des Gastes entsprechendes bescheidenes Gastmahl zubereitet. Den Spaniel leinten wir im Kinderzimmer an. Dazu bot sich für uns Faulpelze eine 7,5-kg-Hantel mit ihren oben geschlossenen Griffring als Fessel geradezu an.
Vladyka Seraphim klingelte.
Vladyka – das ist die russische Bezeichnung seines Standes, die in Deutschland etwa dem „Hochwürden“ entspricht. Wir hatten sein Auto kommen sehen und standen zum Empfang bereit.
Nicht geladen war dazu Spaniel John. Der Würdenträger war eben über die Schwelle getreten, als im Flur ein tolles Gepolter losging. Der etwa 18 kg wiegende Spaniel hatte die Hantel mit aller Kraft mitgerissen und kam zur Begrüßung gerast, sie hinter sich her schleifend.
Die Eisenmasse konnte er aber nicht bremsen, als er anhielt. Also kollerte sie weiter, dem Bischof über die Schuhe. Wir waren starr und sprachlos. Aber Hochwürden entspannte mit einer humorvollen Bemerkung die Situation.
Er segnete anschließend die sehr erstaunte Geburtstagsgesellschaft, gratulierte Svetlana und schenkte ihr ein silbernes Kettchen mit einem ebenfalls silbernen Kreuz daran.
Wir haben uns danach bei dem leichten Imbiss noch etwa eine Stunde sehr angeregt unterhalten. John war auf den Balkon verbannt worden. Das hätten wir bereits vorher tun können. Nur winselt er besonders laut, wenn er von der Begrüßung eines Gastes ausgeschlossen wird. So kam es zu dieser Situation. Ohne diese wäre hier und den Enkeln nichts zu erzählen.