Das verborgene Alef im Deutschen
Wie viele deutsche Wörter beginnen mit Vokal? Kein einziges
Wie viele deutsche Wörter beginnen mit einem Vokal? Du versuchst zu zählen und schreibst alle Wörter auf, welchjene Du kennst und die mit einem /a/, /e/, /i/ /o/, /ä/, /ö/ und /ü/ anfangen? Höre auf zu zählen, denn die Antwort ist viel einfacher als Du denkst.
Kein deutsches Wort fängt mit einem Vokal an
Während im deutschen Schriftbild durchaus Vokale als Anfangsbuchstaben vorkommen, fängt in der Aussprache kein einziges deutsches Wort mit einem solchen an. Vielmehr sprechen wir vor jedem in der Schrift mit einem Vokal anfangenden Laut einen Kehlkopfverschlusslaut (Glottal), welcher dem Alef der hebräischen Sprache entspricht. Das Luftholen vor dem Aussprechen des ersten geschriebenen Vokals ist ein eigener Konsonant. Denselben Laut sprechen wir bewusst ebenfalls häufig aus, zum Beispiel in /beachten/ [be-achten] oder auch bei einer bewussten Aussprache geschriebener Utrumformen (AutorInnen mit einer “Sprechpause“ vor dem I zum Unterschied von Autorinnen). Entsprechende Glottalverschlüsse treten in den bindenden Sprachen nicht oder nur zu Beginn einer Spracheinheit und nicht am Anfang jeden nicht mit einem anderen Konsonanten beginnenden Wortes auf. Im Dänischen kommen sie im Wortinnern auch unabhängig von Vorsilben und Wortzusammensetzungen häufig vor, werden aber wie im Deutschen nicht geschrieben. Im Maltesischen wird das Zeichen /q/ für ein Alef verwendet, während im Hebräischen das Alef Standardbuchstabe ist. Im Jiddischen wird das Alef ebenfalls immer geschrieben, wenn das aus dem Deutschen übernommene Wort scheinbar mit einem Vokal beginnt, nur bei einem [e] erfolgt eine Ausnahme, denn dieses wird durch ein Ajin dargestellt. Die meisten SprecherInnen des Hebräischen unterscheiden nicht mehr zwischen Alef und Ajin, einige wenige sprechen das Ajin als gegenüber dem Alef deutlich stärker kehligen Stimmeinsatz. Die Normaussprache des Hebräischen erlaubt die Gleichaussprache beider Laute. In der modernen Sprache wird das Alef (oder das Ajin als Alef) am Wortanfang konsequent ausgesprochen, während es im Wortinnern oft zu einem reinen Vokalbuchstaben abgeschwächt wurde. Diese ursprünglich nur das Alef betreffende Aussprache hat sich inzwischen auch auf das Ajin ausgeweitet, so dass für meinen hebräischen Vornamen die Aussprache Schim'on mit tiefkehligem Ajin oder mit einem einfachen Glottalschlag wie bei einem Alef ebenso wie die Aussprache als Schimon (ohne Glottalverschluss) vorkommt.
Vokale sind sowieso nicht so eindeutig
Die Trennung zwischen Vokalen und Konsonanten ist im Deutschen ohnehin nicht so eindeutig. Das Schriftzeichen /r/ wird häufig zu einem [a] oder [ea] verändert, während ein /n/ durch das Weglassen eines unbetonten [e] in der Aussprache oft vokalisiert wird. Die slawischen Sprachen haben ohnehin die im Alt-Indoeuropäischen vorkommenden Vokale /l/, /n/, /r/ und teilweise /m/ erhalten, so dass die entsprechenden Schriftzeichen sowohl einen Vokal als auch einen Konsonanten darstellen können. Ähnliches gilt für die Uckermärker Schreibweise Nudl, womit deutlich gemacht wird, dass die Kartoffel und nicht die hochdeutsche Nudel gemeint wird. Das /l/ ist hier ein Vokal, so dass die Aussprache des /u/ lang bleibt, vor zwei aufeinanderfolgenden Konsonanten wäre es kurz. Im Litauischen tauchen die Vokalvarianten der genannten Schriftzeichen noch in Diphtongen auf. Mein Vorname Helmut lässt sich durchaus auf dem /l/ betonen, wenn dieses als Diphtong mit dem /e/ verbunden wird. Es gibt auch eine wissenschaftliche Schreibweise dafür, nämlich einen Kringel unterhalb des einen Vokal darstellenden doppeldeutigen Buchstabens. Im Dänischen gibt es noch die weitere Besonderheit, dass im Schriftbild vorhandene Konsonanten als ganz andere Vokale ausgesprochen werden, wenn sie einen Diphtong bilden, so wird das Wort /jeg/ fast wie [jai] gesprochen, in diesen Fällen liegt oftmals eine historisierende Schreibweise vor.